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Der Friedensapostel Max Daetwyler
    • Öl und Kohle auf ungrundierter Jute
    • Objektmass: 338.5 x 136 x 3.5 cm
    • Inv.-Nr. 5934
    • Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung Max Daetwyler jun. zur Wiedereröffnung des Aargauer Kunsthauses im Oktober 2003
    • © P. Guggenheim, Varlin Archiv, 7606 Bondo
    • Willy Guggenheim (1900–1977), der 1930 auf Anraten des Kunsthändlers Leopold Zborowski (1889–1932) zur Abgrenzung von der amerikanischen Guggenheim-Linie das von einem Revolutionär der Pariser Kommune inspirierte Pseudonym Varlin annahm, galt vielen als ein sperriger Künstler. Dies verdankte er zum einen dem mokanten und launigen Ton, den er gerne anschlug. Zum anderen gründete das inzwischen zu Recht korrigierte Urteil auf dem Umstand, dass die zeitlebens figürliche Malerei des Zürchers im abstrakt geprägten Umfeld des 20. Jahrhunderts lange als anachronistisch wahrgenommen wurde. Er selbst blieb infolgedessen als wichtiger helvetischer Vertreter jener anderen Moderne verkannt, zu deren Protagonisten u.a. Liebermann, Kokoschka, Dix, Grosz und Beckmann oder auch Bacon, Giacometti und der oft in diesem Kontext genannte Soutine gehören. Ihrem Schaffen verwandt, überzeugen Varlins Bildwelten, namentlich die zahlreichen Einzel- und Gesellschaftsporträts, durch denselben existenziellen Tiefgang und die Situierung des Individuums auf dem schmalen Grat zwischen psychologisch verdichteter Erfassung und Groteske. Insbesondere im fulminanten Spätwerk, das 1971 nach der Aufgabe des Zürcher Ateliers und dem definitiven Umzug zu Frau und Tochter ins Bergell einsetzt, manifestiert sich dieses Charakteristikum immer wieder mit grosser Eindringlichkeit.

      Zu diesen späten Bildnissen, die der im Lauf der 1960er-Jahre zum gefragten Porträtisten avancierte Maler geschaffen hat, zählt auch das schlanke Hochformat "Der Friedensapostel Max Daetwyler". Entstanden ist es im Sommer 1974, als der weltweit bekannte Zürcher Pazifist, der bei der Mobilmachung 1914 mit seiner Verweigerung des Fahneneids erstmals Aufsehen erregt hatte, den Künstler zweimal in Bondo besuchte. Mit seiner imposanten Höhe von über drei Metern lässt das rasch auf die Leinwand geworfene, nur bei Gesicht und Händen konziser ausgearbeitete Bild der Figur viel Umraum. So fällt kaum auf, dass Max Daetwyler (1886–1976) mitsamt seinem Attribut, der obligaten weissen Fahne, praktisch lebensgross abgebildet ist. Darin ist das Aarauer Werk einer knapp zwei Jahrzehnte älteren Fassung von 1956 verwandt, die noch im selben Jahr ins Kunstmuseum St. Gallen gelangte. Sie gibt Daetwyler, der sie lobend verdankte, ebenfalls stehend und referierend vor neutralem Grund im Wintermantel wieder; dagegen fehlt die seit dem Zweiten Weltkrieg ständig mitgeführte Fahne, die sich hier trotz ihrer summarischen Malweise – ein Wink auf die 1933 erfolgte Übermalung eines Soldatenbildes in der Zürcher Antoniuskirche? – effektvoll vom dunklen Tiefenraum mit dem zum Antikriegsmal gewordenen Grabkreuz abhebt und der auch die Mahngeste gilt. Ein drittes Porträt fand schliesslich 2013 zusammen mit einem Fotoalbum der Bergeller Treffen seinen Weg in das Bündner Kunstmuseum in Chur. 1974 zeitgleich mit dem Aarauer Bild begonnen und wie dieses dem Museum von Max Daetwyler jun. (*1928) aus Familienbesitz geschenkt, zeigt es Daetwyler, die Fahne erneut in der Rechten und mit der Linken gestikulierend, etwas abgerückt auf einem Stuhl sitzend in Varlins Atelier.

      Die drei Porträts zeugen zusammen und jedes für sich von Varlins jahrelangem Interesse an Daetwylers Person und Mission. Ein 1949 brieflich geäusserter Porträtwunsch belegt überdies, dass dieses Interesse einer schon früh gehegten Hochachtung entsprang. Dass Varlin nicht der einzige war, auf den Daetwylers Tun künstlerisch abstrahlte, zeigt das pazifistische Werk des Winterthurer Malers Eugen Eichenberger (1926–2015) sowie der Werkkomplex rund um das Motiv der weissen Flagge und Daetwylers Friedensbotschaften, den Markus und Reto Huber (*1975), besser bekannt als huber.huber, seit 2006 erarbeitet haben (Inv.-Nr. S6688, Inv.-Nr. 6689). Ferner hat Harald Szeemann (1933–2005) wiederholt im Kunstkontext auf Daetwyler hingewiesen, so 1991/92 in der Ausstellung "Visionäre Schweiz", 1992 im Schweizer Pavillon der Weltausstellung in Sevilla und 2002 im Bieler Nationalbank-Pavillon der Expo.02.

      Astrid Näff